Wiebetreffen 2015 – Rede von Inge Mager

Nachfolgend die Rede von Inge Mager (I166) anlässlich des Wiebe Familientreffens 2015 in Berlin. Der Text liegt hier in der Originalform vor, einzig die Links zu den genannten Personen und Orten wurden von mir hinzugefügt.

Wiebe-Familientag am 23.5.2015 in Berlin

Anfang September 2003 habe ich meinen Geburtsort Honigfelde, Kr. Stuhm (Link zur GOV Datenbank), erstmals wieder besucht, seit ich ihn als Vierjährige im Januar 1945 verließ.

Von meinem elterlichen Hof war nur eine Wiese mit einigen Bäumen übrig geblieben. Dafür wurde ich an anderer Stelle fundig: Meine freundlichen Quartiergeber aus Marienwerder zeigten mir in Schweingrube (Link zur GOV Datenbank) den mitten im Wald gelegenen mennonitischen Friedhof auf dem mehrere Generationen meiner Familie beerdigt worden waren.

Wilde Vergissmeinnicht wiesen mir den Weg allerdings nur zu einem riesigen Feldstein, auf dem der Name und die Lebensdaten des Verstorbenen unter dem Moos zum Vorschein kamen: ,, Hellmuth Becher/ 28.10.1898 -22.5.1931″(I158) . Das war der erste Ehemann meiner Mutter Marie Tgahrt (I157) und der Vater meiner Geschwister Rosemarie (I160) und Friedhelm Becher (I165). Weitere Grabsteine waren leider nicht mehr zu finden. Das unwegsame Gelände machte einen durchwühlten Eindruck. Ich war enttäuscht.

Dafür zeigten meine Gastgeber mir in Montauerweide, einem Ort, der heute wie Schweingrube auch zur Großgemeinde Rehhof gehort, einen weiteren mennonitischen Friedhof . Dieser befand sich dank der Initiative einer Rehhofer Lehrerin in einem erstaunlich gut aufgeräumten Zustand. Wild gewachsene Bäume und Sträucher waren entfernt, die Grabsteine aufgerichtet und die Wege begehbar.

Viele Namen auf den Steinen: Foth, Ediger, Janzen, Penner klangen mir vertraut. Zwischen 1829 und 1938 ist bier bestattet worden. Besagte Rehhofer Lehrerin hatte die Herrichtung des Friedhofes und die Entzifferung der Grabinschriften mit ihren Schülern als Projekt des Geschichtsunterrichts durchgeführt. Am Eingang des Friedhofes befindet sich jetzt auf einem Feldstein eine Messingplatte mit der polnisch/deutschen Aufschrift:

 ,,Ehemaliger Friedhof der Mennonitengemeinde / Im Gedenken an die Begrabenen /

Die Einwohner der Gemeinde Rehhof'”.

Als Ergebnis des Geschichtsprojektes ist dann noch ein Faltblatt entstanden, auf dem in polnischer, englischer und deutscher Sprache die Kulturleistung der im 16. und 17. Jahrhundert aus den Niederlanden nach Preußen eingewanderten Mennoniten gewürdigt wird. Besonders hervorgehoben ist die Trockenlegung des sumpfigen Nogatdeltas. Inzwischen hat in der Marienwerderer Domkirche noch eine Ausstellung über die Weichsel-Mennoniten stattgefunden.

Hinter all diesen pietätvollen Gesten verbirgt sich meines Erachtens eine identitätsstiftende Absicht und die Entschlossenheit, die vorgefundene fremde Geschichte als eigene Geschichte anzunehmen. Das beeindruckte mich. Gleichzeitig kam mir dabei zum Bewusstsein, dass Heimat – jenseits aller Politik – teilbar ist. Sie gehört nicht nur denen, die dort einmal gelebt haben, sondern auch denen, die – aus welchen Grunden auch immer – jetzt dort leben, arbeiten, die Vergangenheit erkunden und neue eigene Spuren hinterlassen.

So gesehen, verbirgt sich hinter den beschriebenen Aktionen eine tiefe Wahrheit:

ohne Herkunft keine Zukunft.

Unsere mennonitischen Familien, die jahrhundertelang in West-und Ostpreußen, einem vergleichsweise überschaubaren Raum, als religios und sozial ziemlich homogene Gruppe wohnten, sind heute nicht nur über ganz Deutschland, sondem auch über Südamerika, die USA und Kanada verstreut. Kirchengemeinden gibt es in Deutschland nur in größeren Städten oder in Mennonitensiedlungen. Die Zahl derer, die noch in Orten mit einst deutschen Namen geboren wurden und Erinnerungen an sie haben, wird immer kleiner. Zudem ist nun nach fünf bis sechs Generationen die Erinnerung an unsere Stammeltern im 19. Jahrhundert fast verblasst. Auch gehören nur die wenigsten ihrer Nachkommen noch dem Mennonitentum an. Viele wissen gar nichts mehr darüber. Gemeinsam gepflegte Traditionen haben sich verflüchtigt.

Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, nicht mehr wehmütig die Asche der in Auflösung begriffenen Familienverbände zu hüten, sondem das Feuer neuer Familientraditionen und Genealogien zu entfachen. Das Wissen um die gemeinsamen Wurzeln sollte dabei allerdings nicht verloren gehen. Vor allem darf ein kostbares mennonitisches Erbstück auf keinen Fall in Vergessenheit geraten. Ich meine den Pazifismus, der heute angesichts von Massenvernichtungswaffen und ethnisch wie religios bedingten gewaltsamen Auseinandersetzungen aktueller ist denn je zuvor. Zur Absage an jede Form von Gewalt, zum Ethos des Friedens und des Dialogs gibt es keine mit gutem Gewissen zu vertretende Alternative. Die Stimme der Gewaltlosigkeit unter uns darf nicht verstummen. Das sind wir unseren mennonitischen Vorfahren, die dafür im 16. und 17. Jahrhundert verfolgt wurden und sich vertreiben ließen unbedingt schuldig.

Inge Mager, Hamburg

Author: Andre Dieball

Share This Post On

2 Comments

  1. Hönigfelde , Schweingrube,Montauerweide und Rehhof : kennen Sie auch die
    Pölnische Namen ?

    Post a Reply

Submit a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *